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swobl schreibt über den GRAUEN REITER
Im Köpfchen 2/2006 schreibt swobl über seine Eindrucke vom Bundeslager des GRAUEN REITERS 2006. Interessant, wie der Bund von außen gesehen wird! Siehe auch www.burg-waldeck.de
Für uns war es ein Erlebnis besonderer Art, ein schönes Schwarzzeltlager zwischen Hohenkrähen und Mägdeberg, mit Sicht auf den Bodensee, einheitlich im Stil, der Lagerablauf voller Widersprüche, die uns wunderten, erstaunten, erzürnten und nachdenklich machten. Wir, das waren die drei Kids Maria, Ranja und Yannick; Julia aus St. Petersburg, Monika, Hanna, Sandra, Theo, Marcin, Sebi und ich, dicht gedrängt in der S-Kothe mit Feuerschale in der Mitte. Es musste durchgeheizt werden, denn die sternklare Nacht verursachte bittere Kälte, aber wir waren gut ausgerüstet.
Das Lager war mit selbstgebauter Wasserrinne, Brennholz und Holzplatz, Kohtenstangen und Dixi-Klos, Gepäck-Shuttle vom Parkplatz zum Lager gut organisiert, und auch die Zeitplanung war so, dass den ca. 200 bis 250 Mädchen und Jungen genug Zeit blieb, um selbst zu kochen. Für TagesbesucherInnen, viele Ehemalige, gab es im Freiluftkaffee – im Burggraben des „Krähen“ genügend Kulinarisches zu kaufen. Die angekündigten Werkgilden waren, bis auf die Feldschmiede, eher unauffällig. Beginn und Morgenrunde verpassten wir, aber den Singewettstreit auf eigens errichteter Bühne mit sechs Gruppen empfanden wir als ausgesprochen locker, so dass wir es schon bereuten, nicht auch was gesungen zu haben. Allerdings wurde der ungezwungene Eindruck dann durch eine beckmesserische Jury aus VertreterInnen mehrerer Bünde konterkariert. Uns hätte der Spaß an den Gesängen schon gereicht.
Beim Verlassen des Singewettstreits wurden Grau- und Glatzköpfe von zwei resoluten Grauen Reiterinnen zum Nostalgietreffen ins alte Haus beordert. In einer langen Vorstellungsrunde wurde da etwas von Geschichte und Geist der Pfadfinderschaft lebendig, die sich klein, aber fein und von Anfang an geschlechtsgemischt durch die Zeiten gerettet hatte. Hier konnte ich einiges beitragen aus der Zeit, als der „Graue Reiter“ noch ein Gau in der BDP-Landesmark (LM) Südwürttemberg-Hohenzollern war. 1956 war der „Graue Reiter“ dann aus dem BDP gemobbt worden, formal, weil er, die LM-Grenzen überwindend, innerhalb des BDP eine „geistige Gemeinschaft“ gebildet hatte (der ich damals angehörte), faktisch, weil er mit seinen bunten Einfällen und seiner kunsthandwerklich orientierten Pädagogik seinen Spielidee-Lagern („Steppenlager“, 1955 – später das erste überbündische Lager auf Burg Waldeck 1958), seinem Hereinholen bekannter Künstler und Buchautoren (Fritz Mühlenweg) in die Lager, den Formalisten im BDP, deren wichtiges Ziel die Vereinheitlichung war, bedrohlich erschien.
In den biographischen Berichten tauchte immer wieder der Name „Schnauz“ (Erich Mönch) auf, eine faszinierende Figur, pragmatisch und bescheiden, aber „voller Märchen und Legenden“, der uns damals nicht nur die Welt der Mongolen nahe brachte, sondern auch die Geschichte der Jugendbewegung, Studienfreund tusks auf der Stuttgarter Kunstakademie und (was wir damals nicht wussten) bis in die USA bekannter Lithografie-Meister. Auch wenn wir Tuttlinger „Sueben“ dann nicht in den „Grauen Reiter“ übertraten, hat auch uns „Schnauz“ stark geprägt. Seine Idee war es auch, die Burgruine „Hohen Krähen“ zum Sitz und Mittelpunkt des Bundes zu machen, der sich in zwei Häusern am Fuße der Ruine sesshaft gemacht hat.
Einen historischen Rückblick oder eine programmatische Rede gibt es nicht, wohl aber eine kleine Ausstellung der heute aktiven Gruppen in Ingolstadt, Butzbach, Rottweil, Düsseldorf und Tübingen. Viele Mädchen bestimmen das Erscheinungsbild. Uns fällt auf, dass hier keine „Schwarzköpfe“ zu sehen sind. Absicht oder unbeabsichtigte, unbewusste Ausgrenzung? Aber als Theo und ich auf der Heimfahrt die hessischen BDPGruppen im Geiste durchgehen, ist es auch da so, außer in Frankfurt und im MTK.
Das Bundesfeuer mit Versprechensabnahme und einer kurzen Rede des Bundesführers „Eisenfaust“ ist inerseits beeindruckend durch die vielstimmig gesungenen Lieder, aber das Versprechen auf die Bundesfahne, die öffentliche Vorführung von Jungen, die sich jetzt gebessert hätten und deshalb eine Auszeichnung bekämen und das gesamte Ambiente kamen uns schwer erträglich vor. Aber welche Formen haben wir? Wer weiß, wann er wo dazugehört? Viele Fragen.
Die Lieder, die abends in den Jurten gesungen wurden, das sind über weite Strecken auch unsere Lieder. Oberflächlich gesehen sind wir ungezwungener, der Gruppendruck schien uns doch größer bei den „Grauen Reitern“. Wir waren im Lager ein bisschen die unbekannten Wesen vom großen BDP, der sie doch vor fünfzig Jahren rausgeekelt hatte und der laut „bündischer“ Geschichtsbeschreibung ja doch eigentlich „zerbrochen“ ist und „kommunistisch unterwandert“ (ernsthafte Frage: „Gibt’s die noch bei Euch?“) und den es eigentlich gar nicht mehr geben dürfte. Ein bisschen ein Schemen wie der historische „Graue Reiter“ selbst, nach dem sich die Pfadfinderschaft nennt: ein Widerständiger, der dem Naziverbot trotzte und mit Pfadfinderhut auf seinem Pferd durchs Dorf zu reiten beliebte, bis sich seine Spur irgendwo im Osten des damaligen Deutschen Reiches verlor. So jedenfalls, hat es uns Schnauz in andachtsvoller Runde erzählt. Wir würden die heutigen „Grauen Reiter“ gerne besser kennenlernen: vielleicht beim Peter-Rohland-Singewettstreit oder in Lützensommern?
swobl